Über 2 Jahre ist es her, seitdem ich aus Neugier Quidditch beim Hochschulsport Bochum ausprobiert habe und von Anfang an fasziniert und begeistert für den Ruhr Phoenix spiele. In dieser Zeit habe ich wohl eines gelernt. Quidditch ist ein unglaublich vielfältiger und toller Sport, aber kann definitiv nicht gesund sein...
Wahrscheinlich kennt jeder die irritierten Blicke, unangenehmen Fragen (am besten nicht direkt zum Frauenarzt gehen) und mittlerweile schon Akzeptanz, dass der Körper nach einem Quidditch-Wochenende mal wieder von blauen Flecken übersät ist. Hämatome, Zerrungen, Schürfwunden – irgendwas tut immer weh.
Unser Sport ist ein Mix aus Handball, Rugby und Völkerball. Cool! Aber genau deshalb summiert sich leider auch das Verletzungsrisiko. Uncool! Zum Beispiel kennen wir die typischen Schulterprobleme von Handballern, im Rugby erleidet bald jeder vierte Jugendliche irgendwann einmal eine Gehirnerschütterung (Kirkwood, Parekh, Ofori-Asenso, & Pollock, 2015) und (Profi-) Fußballer sind gefühlt sowieso ständig irgendwo am Knie verletzt.
Wir rennen mit einem Plastikstab durch die Gegend, versuchen dabei noch den Ball mit zwei Händen zu fangen und klemmen dabei unseren Besen krampfhaft zwischen unsere Beine. Das sieht nicht nur (ja Leute, steht dazu) albern aus, sondern ist auch rein biomechanisch einfach kacke. Genu valgum, im allgemeinen Sprachgebrauch auch X-Bein genannt. Die Hüfte steht in Innenrotation, valgus im Knie, der Fuß innen überdehnt. Allein dadurch erhöht sich die Gefahr für Unfälle und Beschwerden, wie z.B. Kreuzbandriss, Umknicken oder einfach nur Knieschmerzen. Immerhin dient es zur Prophylaxe von medialer Kniearthrose. Unser Broom ist jedoch im Quidditch nicht wegzudenken. Um deshalb mit dieser hohen Belastung klarzukommen sind Stabilität im Knie und eine gut trainierte Beinmuskulatur unabdingbar. Ein Tipp: Bei Sprüngen im Ausfallschritt landen und schnelle Richtungswechsel im Training üben.
Außerdem sollten wir auf unsere Finger achten. Allein in unserem Team hat gefühlt jeder zweite schon einmal Probleme mit dem Kapsel-Bandapparat gehabt. Werfen, Fangen oder mal wieder draufgeflogen beim Seeken. Die Liste geht unendlich weiter: Sprunggelenk, Knie, Schulter, Kopf, Rippen; Kontusion, Distorsion, Subluxation, Zerrungen, Risse, Frakturen - für eine Berufsanfängerin im Bereich Physiotherapie ein Traum. Für die Betroffenen wohl eher nicht. Eine Analyse von Verletzungen im Quidditch hat gezeigt, dass Gehirnerschütterungen am häufigsten (21,5% aller Verletzungen) vorkommen und Frauen mehr gefährdet sind als Männer (Pennington et al., 2017).
Stay positive! Die britische Studie hat zudem gezeigt, dass die Inzidenzrate (Häufigkeit neu aufgetretener Verletzungen) bei 4 pro 1000 Stunden Quidditch liegt und somit weit unter vergleichbaren Zahlen vom Rugby oder Football ist (Pennington et al., 2017)
Wenn doch mal etwas passiert, gilt bei kleineren Verletzungen (z.B. Muskelverletzung) weiterhin die PECH-Regel (Pause, Eis, Kompression, Hochlagern) oder korrekterweise das etwas modernere POLICE-Prinzip (Bleakley, Glasgow, & MacAuley, 2012). Dies begünstigt nicht nur die Heilung und beugt Langzeitschäden vor, sondern schafft euch die Möglichkeit, auch im hohen Alter dem Quaffel/Bludger noch hinterherzujagen.
P-OL = Protection & Optimal Loading
Schutz und trotzdem gleichzeitig optimale Belastung. Wenn es zwickt, tut am besten nicht das, was ich selbst tue. Nämlich einfach weitertrainieren. Gebt eurem Körper die notwendige Ruhe, die er braucht. Ein Beispiel mit ein paar Zahlen: Nach einer kleinen funktionellen Muskelfaserverletzung in der hinteren Beinmuskulatur (<5mm) beträgt die RTP (Return To Play) Zeit ca. eine Woche, bei deutlichen Muskeldefekten kann dies bis zu 3 Wochen dauern. Trotzdem sollte das Bein von Anfang an bewegt werden (Mobilisation begünstigt den Heilungsprozess von Knochen, Sehnen, Bändern und Muskeln) und das Trainingspensum stufenweise über Gang- und Lauftraining zurück auf den Pitch führen (Ueblacker, Haensel, & Mueller-Wohlfahrt, 2016). CAVE! Bei Frakturen bitte nicht bewegen!
I = Ice
Kühlen. Kühlen. Kühlen. Am besten mit Crush-Eis, aber bitte niemals zu lange auf einem Fleck!
C = Compression
Kompression ist ein wichtiger Punkt, welcher häufig vergessen wird. Dient zur Immobilisierung, Schutz und verhindert eine übermäßige Schwellung.
E = Elevation
Hochlagern. Macht normalerweise auch keiner. Aber mal ehrlich, wenn ihr am nächsten Tag nicht mit Elefantenfüße rumlaufen wollt: Hoch das Bein!
Bei Verdacht auf Gehirnerschütterung sollte sofort mit dem Spielen aufgehört und medizinische Hilfe in Anspruch genommen werden. Ein einfaches Tool (für Laien) wie das CRT5 („Concussion Recognition Tool 5“) (Echemendia et al., 2017) hilft euch für eine grobe Einschätzung und beinhaltet z.B. Zeichen, Symptome und Gedächtnisfragen.
Solange Madam Pomfreys Zaubertrank uns noch verwehrt bleibt, träume ich von Medics vor Ort und einem unendlichen Vorrat an Eis, Verbänden und Tape. Vielleicht findet sich ja ein Sponsor, der den Ruhr Phoenix zumindest für solche Dinge unterstützt?
Zu guter Letzt. Ich möchte hier keinesfalls unseren Sport schlecht machen, sondern vielmehr das Bewusstsein für dieses schwierige Thema stärken und jeden motivieren auf sich selbst zu achten. Denn es gibt Möglichkeiten, das Verletzungsrisiko so gering wie möglich zu halten! #Prävention! Dazu mehr im nächsten Artikel!
Cheers
Carina
Editorial: Vielen Dank an Carina für diesen Beitrag! Als Chaserin und quasi-Team-Physiotherapeutin steht sie uns auf und neben dem Pitch stets mit vollem Herzblut zur Verfügung!