Rückblick auf die EM 2019 in Bamberg

„Du spielst Quidditch? Könnt ihr auch fliegen? Und habt ihr dann ein Besen zwischen den Beinen?“

- Jede*r, immer.

Bamberg im Juni 2019. Es ist heiß. Die Tribüne im Fuchs-Park-Stadion füllt sich langsam. Freunde gucken zu. Der Livestream läuft und der Stadionskommentator pöbelt die ZuschauerInnen warm. Die kühlen sich mit kaltem Bier. Bei dieser Hitze auf dem Platz sehne ich mich spontan in das Wellenbad, was direkt um die Ecke liegt. Kurz spiele ich noch mit dem Gedanken meine Protektoren unter dem schwarzen Trikot auszuziehen. Laut Regelwerk muss ich ja nur einen Mundschutz haben. Mein Blick wandert in die gegnerische Hälfte: dort machen sich Spielerinnen und Spieler mit Rugby-Statur warm. Ich, eher so der lauchige Typ, behalte meine Protektoren doch lieber an. Etwas Luft auf der Haut mit gebrochenen Knochen zu tauschen scheint mir irgendwie ein schlechter Deal. Als unser Trainer uns zusammenruft werde ich aus den Gedanken gerissen. Letze Absprachen, letzte Taktik, ein letzter Chant; „Wir sind Zucker!“, dann geht es los: Deutschland gegen England bei der Quidditch EM 2019 – Spiel um Platz drei.

Quidditch? Ja genau. Das von Harry Potter. Nein, wir können nicht fliegen. Mit Besen? Ja, den haben wir. Nein, ohne Reisig. Das ist aber eher so eine PVC-Stange. Der Verletzungsgefahr wegen – die splittern beim Brechen nicht so stark wie Holz. Eine Reporterin fragt ob ich die Bücher gelesen hätte, ein solcher Fan sei und mit Quidditch angefangen hab, um mich wie Harry Potter zu fühlen. Ich lache kopfschüttelnd und sage, dass ich die Filme unterhaltsam finde. Und alle Harry Potter Fans stimmen im Chor zusammen: „DIE BÜCHER SIND ABER SO VIEL BESSER ALS DIE FILME!1!11!!“

Wie kommt man also zum Quidditch? Wie kommt man dazu, zusammen mit fünf anderen SpielerInnen mit Besen zwischen den Beinen über ein Feld zu rennen, sich gegenseitig abzuwerfen, zu tacklen und nach jedem Spiel eine Hug-Line mit der gegnerischen Mannschaft zu machen? „Quidditch ist eine Mischung aus Handball, Rugby und Völkerball – du spielst doch Handball. Komm doch mal mit.“ sagt Paul. Paul ist ein Kommilitone als ich meinen Bachelor in Bochum gemacht habe. Skepsis macht sich breit. „Das ist ein gemischtgeschlechtlicher Sport. Jungs und Mädels. Coole Truppe. Viel Party. Du passt da gut rein. Dienstag ist Training – ich meld dich an.“, harkt Paul weiter nach. Da Paul als Mensch genauso vercheckt wie gut in dem Sport ist, weiß ich nicht was ich von dem Vorschlag halten soll. Wir schweifen vom Thema ab und ich geh den Dienstag (natürlich) nicht zu dem Training. Erst als sich ein halbes Jahr später meine Handballmannschaft auflöst erinnere ich mich an Pauls komisches Hobby, gebe mir einen Ruck und finde mich auf dem Kunstrasenplatz der Ruhr-Uni wieder. Da hat Paul schon vergessen, dass er mich je zum Training einlud und war verwundert sowie überrascht als ich ihn begrüßte.

Und er sollte recht behalten: Quidditch, eine Randsportart die viel belächelt und auf Harry Potter reduziert wird. Eine Sportart, bei der alle denken man verarscht sie, wen man davon erzählt, eine Sportart wo Mädchen Jungs und Jungs Mädchen umtacklen. Diese Sportart hat eine herzliche Community wo viel Bier getrunken wird und Sexismus der Vergangenheit angehört. Wo Jeder und Jede willkommen ist und sich selbst nicht zu ernst nimmt. Eine Community in der man sich gegenseitig hyped und Freundschaften über die Teamgrenzen hinweg entstehen. Die Sportart, bei der man ein Besen zwischen den Beinen hat und abartig anstrengend wie genial ist. Eine Sportart wo man in Auswahltrainings für das Nationalteam seine Grenzen aufgezeigt bekommen kann oder einfach im Heimteam ein bis vier Mal in der Woche Bälle hin und her wirft.

Zurück nach Bamberg: Es ist Sonntagnacht und immer noch heiß. Bei dem After-Tournament Social singt das österreichische Nationalteam leidenschaftlich „We are going to Ibiza“ und wir stoßen mit einem lang ersehnten Hellem zu dem 4. Platz an. Klar – 3.Platz wäre irgendwie bisschen sexyer aber das ist nun Egal. Zumindest weitestgehend. Als das Bier meinen Mund füllt mahne ich mich noch zurecht: Heute nicht so wild - du musst morgen noch das Poster für Dr. Koddenbrock fertig machen (Shoutout an dieser Stelle). Und so erfahre ich zu Ende der EM noch eine wichtige Lehre: Wenn der Zeitdruck größer ist als der Kater kann man super konzentriert arbeiten.

Editorial: Dieser Rückblick auf die EM 2019 stammt aus der Feder von Max Schulze-Steinen und ist im Rahmen einer Kooperation mit der Universität Witten Herdecke entstanden.